Anonymes Corona-Tagebuch

Ein Jahr Online-Studium sind eine lange Zeit. In diesem anonymen Tagebuch erfahrt Ihr, welche Gedanken sich eine Studentin im sechsten Semester in dieser Zeit so gemacht hat.

Tag 54

Sich morgens an den Schreibtisch zu setzen, in einer Jogginghose, mit dem Frühstück auf der einen Seite und einem leckeren Getränk auf der anderen Seite, das ist schon sehr entspannt. Das ist aber nicht das Studium, das ich mir vorgestellt habe.

Tag 101

Ich frage mich, ob die Dozenten denken, dass man im Home-Office doppelt so viel Zeit hat. Die Anforderungen sind gefühlt doppelt so groß geworden. Ich halte den Druck nicht mehr aus! Man muss sich komplett alleine motivieren. Das Zeitmanagement ist ein ganz anderes, als es vorher war. Die Dozenten haben sicherlich auch viel Arbeit aktuell. Irgendwie ist Online-Vorlesung ganz anders als Präsenz. Anstrengender.

Tag 166

Ich muss offen und ehrlich zugeben: Die Hochschule fehlt mir! Mir fehlen die Zugfahrten, die Gespräche mit meinen Kommilitonen in den Pausen, die Präsenzvorlesungen der Dozenten, das Essen in der Mensa und ja, sogar das Treppensteigen in den vierten Stock vermisse ich. Die Einsamkeit macht sich immer weiter breit.

Tag 174

Die unendlich vielen To-do-Listen helfen mir nicht mehr wirklich. Nein, sie stressen mich eher, da ich so sehe, wie viel ich noch zu erledigen habe.

Tag 184

Das Wichtigste ist gerade, motiviert zu bleiben, aber das ist schwerer als gedacht. Man wird viel zu schnell von anderen Kleinigkeiten abgelenkt und hört auf, sich auf die wichtigen Sachen zu konzentrieren. Das Privatleben vermischt sich komplett mit dem Studium. Das Risiko, unproduktiv zu werden und dadurch den Anschluss zu verlieren und somit sein Studium nicht zu schaffen, ist sehr real.

Tag 196

Das Sitzen am Schreibtisch bin ich langsam leid. Mir fehlen Bewegung und der Kontakt zu anderen Menschen. Online ist eben nicht das Gleiche wie Präsenz. Wir können uns untereinander nicht mal eben schnell bei einer Aufgabe helfen, indem wir mit unserem Stuhl einen PC-Platz weiterrutschen. Das Zwischenmenschliche geht verloren. Die Gemeinschaft zwischen den Kommilitonen. Man wird irgendwie immer mehr zur Einzelkämpferin.

Tag 247

Seit dem letzten Jahr führe ich eine komplizierte Beziehung mit meinem Laptop. Ich verbinde ihn nur noch mit der Uni und mit Arbeit. Früher habe ich entspannt Filme oder Serien auf ihm geguckt. Jetzt ist er nur noch zum Arbeiten da. An manchen Tagen würde ich ihn am liebsten einfach ausgeschaltet lassen.

Tag 315

Wer weiß, wann es mal wieder normal wird. Studieren ist so viel mehr, als nur den Lernstoff zu besprechen. Normalität wünscht sich jeder wieder. In die Hochschule zu fahren, mit den Kommilitonen die Pause zu verbringen, genauso wie den ganz alltäglichen Uniwahnsinn. Mir raubt Corona die wahrscheinlich besten Jahre meines Lebens.